Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition) by Kendare Blake

Autor:Kendare Blake [Blake, Kendare]
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
Herausgeber: Random House DE
veröffentlicht: 2012-11-11T23:00:00+00:00

Kurz nachdem Thomas mich zu Hause abgesetzt hat, ruft Gideon an.

»Guten Morgen, Theseus. Tut mir leid, dass ich dich an einem Sonntag so früh wecke.«

»Ich bin schon seit Stunden auf und eifrig bei der Arbeit, Gideon.« Ich höre förmlich, wie er grinst. Als ich das Haus betrete, nicke ich meiner Mutter zu, die gerade Tybalt die Treppe hinunterscheucht und ihm wütend erklärt, dass Ratten nicht gut für ihn seien.

»Wie schade«, kichert Gideon. »Ich warte schon seit Stunden darauf, dass ich dich anrufen kann, weil ich dich ausschlafen lassen wollte. Das war sehr anstrengend. Hier ist es fast vier Uhr am Nachmittag. Ich glaube, ich habe die wesentlichen Teile deines Zauberspruchs beisammen.«

»Ich weiß nicht, ob ich ihn überhaupt noch brauche. Ich wollte dich nachher sowieso anrufen. Es gibt ein Problem.«

»Was für ein Problem?«

»Das Problem ist, dass außer mir niemand das Haus betreten kann, und ich bin kein Hexer.« Ich berichte ihm, was sich zugetragen hat, lasse aber aus irgendeinem Grund die Tatsache aus, dass ich in der Nacht lange mit Anna geredet habe. Ich höre, wie er mit der Zunge schnalzt, und stelle mir vor, wie er sich das Kinn reibt und die Brille putzt.

»Dann hattest du also keine Chance gegen sie?«, fragt er schließlich.

»Absolut nicht. Sie ist Bruce Lee, Hulk und Neo aus Matrix in einer Person.«

»Ja, und vielen Dank auch für deine mir völlig unverständlichen Popkultur-Vergleiche.«

Ich lächle. Natürlich weiß er zumindest ganz genau, wer Bruce Lee ist.

»So oder so, du musst den Spruch wirken. Die Art und Weise, wie das Mädchen gestorben ist, verleiht ihm schreckliche Kräfte. Es geht nur darum, Geheimnisse aufzudecken. Ich erinnere mich an einen Geist, der 1985 deinem Vater große Probleme bereitet hat. Aus irgendeinem Grund war er fähig zu töten, ohne sich dabei selbst zu materialisieren. Erst nach drei Séancen und einem Ausflug zu einer satanistischen Sekte in Italien kamen wir darauf, dass er nur wegen eines Zaubers, der in einem recht gewöhnlichen Kelch aus Stein steckte, an die irdische Ebene gebunden blieb. Dein Vater hat das Ding zerbrochen, und schlagartig war der Geist verschwunden. So ähnlich ist das sicher auch in deinem Fall.«

Mein Vater hat mir die Geschichte erzählt, und ich weiß, dass sie in Wirklichkeit erheblich komplizierter war. Dennoch erhebe ich keine Einwände, denn im Grunde hat er recht. Jeder Geist hat eigene Methoden und eigene Tricks. Sie haben unterschiedliche Triebe und Bedürfnisse. Wenn ich sie töte, zieht jeder von ihnen auf seinem eigenen Weg weiter.

»Was bewirkt der Spruch überhaupt?«, frage ich.

»Die geweihten Steine bilden einen schützenden Kreis. Wenn der Spruch gewirkt ist, hat sie über diejenigen, die sich in ihm befinden, keine Macht mehr. Der Hexer, der das Ritual vollzieht, kann die Energien des Hauses bündeln und in eine Wahrsageschale leiten, die dir dann zeigt, was du wissen musst. Natürlich ist es nicht ganz so einfach. Man braucht Hühnerkrallen und eine Kräutermischung, bei der dir deine Mutter helfen kann, außerdem musst du einen Text rezitieren. Ich schicke ihn dir per E-Mail.«

So, wie er es sagt, klingt es wirklich sehr einfach. Glaubt

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